Poesie

Gedichte können uns - wenn wir die Worte langsam in uns einsinken lassen - in einen Raum tiefer innerer Ruhe und Stille führen. Vielleicht inspirieren diese poetischen Texte Sie sogar, einmal selbst ein kleines Gedicht aus der Stille "auftauchen" zu lassen.

 

Ort des Glücks

Manchmal
Gehe ich in die Stille hinein
Bis sie sich vollkommen ausbreitet
Weit wird
Klingt
Mich mit sich nimmt        (Ingrid Maria Sander)

 

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -:

Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.
                 (Rainer Maria Rilke)

 

Stille

Trübem Dunst entquillt die Sonne,
Zähen grauen Wolkenfetzen . . .
Häßlich ist mein Boot geworden,
Alt und morsch mit wirren Netzen.

Gleichgetöntes Wellenplätschern
Schlägt den Kiel (er schaukelt träge),
Und die Flut mit Schaum und Flecken
Zeichnet noch die Spur der Wege.

Ferne vor dem trüben Himmel
Schweben graziöse Schatten
– Helles Lachen schallt herüber –,
Gleiten Gondeln flink, die glatten.

Fackeln haben sie und Flöten
Und auf Polstern: Blumen, Frauen . . .
Langsam tauchen sie mir unter
In dem Dunst, dem schweren, grauen . . .

Stürme schlafen dort im Dunst:
Kämen sie noch heute abend
Ziehend auf die glatte Öde,
Wellentreibend, brausend, labend!     (Hugo von Hofmannsthal)

 

Ein Liedvers

Wie die zarten Blumen
willig sich entfalten
und der Sonne stille halten,
lass mich so
still und froh
deine Strahlen fassen
und dich wirken lassen.      (Gerhard Tersteegen)

 

In der Stille

Wieviel Schönes ist auf Erden
Unscheinbar verstreut;
Möcht ich immer mehr des inne werden;
Wieviel Schönheit, die den Taglärm scheut,
In bescheidnen alt und jungen Herzen!
Ist es auch ein Duft von Blumen nur,
Macht es holder doch der Erde Flur,
wie ein Lächeln unter vielen Schmerzen.
      (Christian Morgenstern)

 

Mondnacht

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis' die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus. 
     (Joseph von Eichendorff)

 

Alle Dinge

Alle Dinge kehren an ihre Wurzel zurück.
An der Wurzel angekommen ist die Stille.
In der Stille kehrt der wahre Sinn zurück
Das ist, was echt ist.
Das Echte zu kennen stiftet Klarheit
Das Echte nicht zu kennen und töricht zu handeln bringt Unheil
Aus dem Wissen um das Echte entsteht freier Raum.
Aus dem freien Raum entsteht Unbefangenheit.
Aus der Unbefangenheit entsteht Souveränität.
Aus der Souveränität entsteht, was natürlich ist.
Was natürlich entsteht, ist das Dao.
Aus dem Dao kommt, 
was dauerhaft ist und über sich selbst hinaus
Bestand hat.           (Daodejing, 2. Hälfte Vers 16)

 

Gewalt der Stille

Wir sind so sehr verraten
von jedem Trost entblösst
in all den schrillen Taten
ist nichts, das uns erlöst.
 
Wir sind des Fingerzeigens
der plumpen Worte satt.
Wir suchen den Klang des Schweigens,
das uns erschaffen hat.
 
Gewalt und Gier und Welle
der Lärmenden zerschellt.
O komm, Gewalt der Stille,
und wandle du die Welt.           (Werner Bergengruen)

 

Abendstille überall

Abendstille überall,
Nur am Bach die Nachtigall
Singt ihre Weise
Klagend und leise
Durch das Tal.   
  (Volkslied)